Sonntag, 4. September 2011

Die im Dunkeln sieht man nicht

Wir hatten Urlaub. Urlaub ist, wenn man an Brecht denkt.
Wenigstens jetzt. Wenigstens so. Mit Mutter. Sie schlief im Wohn-Küchen-Zimmer des Ferienhauses, auf der riesigen Bettcouch. Wir im Schlafzimmer im Doppelbett. Es bedeutete, dass sich vier Wochen lang ihre Präsenz in jede geheime Ecke stahl. Dass sie gestern, heute, morgen, nicht nach draußen wollte. Aus Wettergründen. Wegen Hitze oder Kälte. Dass die Jalousien (überall) in jedem unbeobachteten Moment heruntergezogen wurden. Dass ein ganzes Haus den Tag über im Dämmer lag. Mutter erträgt die Sonne nicht. Ich nehme an, dass Helligkeit sie an das erinnert, was sie nicht mehr fühlen will. Freude. Gleichzeitig begann schleichend die neue Marotte:  "Wird es schon dunkel?" fragt sie voller Angst.
Morgens, mittags, abends.

Erst antworteten wir, wie man antwortet. Ja. Oder nein. Danach zogen wir die Jalousien hoch und erklärten, dass Dunkelheit kein Grund zur Furcht ist. Alles ganz normal. Sie variierte die Frage: Gibt es ein Gewitter oder wird es etwa schon dunkel? Haben sie Regen angesagt oder kann es sein, dass es schon dunkel wird? Es wird irgendwie schon dunkel, aber das ist wohl ganz normal? Soll ich nicht besser mal das Licht anmachen, bevor es dunkel wird?

Seit wir wieder zuhause sind, ist sie besessen von Lampen. Abends, vor dem Fernsehen oben, werden rituell, heimlich und schnell alle verfügbaren Leuchten angeknipst. Nur, weil es ja schon dunkel werden könnte. Tagsüber brennt überall in ihrer geliebten, düsteren Wohnung unten sowieso jedes Licht. Wieso wird es so früh schon dunkel? Weil der Herbst kommt, Mama. Weil das Jahr zuende geht, das kennst du doch, du hast das 76mal erlebt. Kein Anlaß, sich aufzuregen.

"Ich mach mir solche Sorgen", sagte sie gestern, auf der Kante der Couch, und knetete ihre Finger. Worüber? "Dass ich mir solche Sorgen mache, weil es dunkel wird." Wie gesagt, Urlaub ist, wenn man an Brecht denkt. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.      

Freitag, 19. August 2011

Ich Dussel

Vorgestern habe ich meine Mutter in die Neurologische Uniklinik gebracht. Ihre Schmerzen, ihr Parkinson, ihre Halluzinationen erfordern einen neuen Cocktail. Nach sieben Monaten an ihrer Seite fühle ich mich ausgebrannt, erschöpft, kapituliere vor einem état de siège, den ich mir in der Dramatik im Januar nicht vorstellen konnte.

Mit der seit wenigen Monaten sich beschleunigenden Reise in die Demenz gewinnen primäre Schutzinstinkte meiner Mutter Oberhand. Im Gespräch vorsätzlich schwerhörig, entwickelt sie aus der Ferne des Gestühls oder Betts einen akustischen Alarminstinkt, der jedes Geräusch, auch das allerleiseste augenblicklich wahrnimmt.

Hallo??? Wer dann nicht Laut gibt, ist verloren. Die Uhrzeit? Egal. Nachts um vier in die Küche gehen: Hallo? Mittags während ihres Nickerchens die Toilette aufsuchen - hallo? Die Wäsche wieder raufbringen: Ich heiße jetzt Hallo.

Kläre ich meine Mutter darüber auf, dass hinter den von ihr als Bedrohung wahrgenommenen Geräuschen ihr eigener Sohn steckt, der sich seit über sieben Monaten um sie kümmert, sagt sie: Ich Dussel.

Eben sah ich dieses Video, eine Probeaufnahme Josef von Sternbergs mit Marlene Dietrich für den Film "Der blaue Engel".


Bout d'essai Marlene Dietrich screentest von astre

Als der Film gedreht wurde, war meine Mutter acht Jahre alt. "Du Dussel" war eines der freundlichen Koseschimpfwörter ihrer Familie. Das Repertoire, ins Sediment gesunken, kehrt an die Oberfläche zurück, während andere Ichfunktionen abbauen.

Ich halte das nicht mehr aus. Als wir am Mittwochmorgen aufbrechen, fragt sie mich angstvoll, ob sie zurückkehren werde. Herzzerbrechend. Aber ich kann es nicht mehr. Nach der Klinik habe ich mit viel Glück eine zweiwöchige Kurzzeitpflege in der Nachbarschaft gefunden. In der Zeit suche ich nach einem guten Pflegeheim und werde mich von dem Stress der letzten Monate erholen. Hoffentlich.

Am Montag steht das abschließende Gespräch mit dem Neurologen auf dem Plan. Ich hoffe auf seine Hilfe. Sonst bin ich der Dussel.

Freitag, 29. Juli 2011

Ich wird ein Anderer

Rimbaud. Digital ID: 2006249. New York Public Library

Vorgestern hat sie zum ersten Mal von sich aus davon gesprochen. Dass sie im Begriff sei, ihren Verstand zu verlieren. Welche Angst ihr das bereite. Wie verzweifelt sie sei. Wie ungewiss über die Zukunft. Mit dem bescheidenen Trost, darüber nachdenken, sich selbst beobachten zu können. Second order within disorder.

Der Zeitpunkt war unglücklich. Ein Freund hatte mir meine Post aus Berlin mitgebracht. Wir trafen uns für zwei Stunden, für ein schnelles Abendessen in D. Als ich zurück komme, sitzt sie reisefertig im Wohnzimmer. Wo wir denn blieben? Sie müsse nun ihre Wohnung verlassen. Oder ob es nicht möglich sei, noch etwas zu bleiben?

Mit Mühe beruhige ich sie, bewege sie dazu, ins Bett zu gehen. Lass mich nicht allein! Mit den Worten verabschiedet sie sich von mir.

Wie ein lautloses Thai-Longtailboot von Strand zu Strand, zu den vom Meer der Demenz angenagten Inseln ihrer Erinnerungen. Sie selbst ihr eigener Postgote. So nannte mein Vater den Briefträger. Ehrendes Andenken.

Sie hat eine erstaunlich akkurate Selbstdiagnose gestellt. In der milden Form ihrer späten Demenz (Lewy-Körperchen) gehen nicht alle kognitiven Funktionen verloren.

Ihr Ich wird nun ein Anderer.

Samstag, 23. Juli 2011

Auf der Straße nach Dijon

Tapisserie de Dijon Digital ID: 107928. New York Public Library Meine Mutter beginnt eine Liebesaffäre. Trällert vor sich hin. Wenn ich sie dabei erwische, wird sie rot und kichert. Sie hat viele Jahre im Kirchenchor gesungen. Dadidadamm. Eine schöne Altstimme, von der nichts geblieben ist als eine viel zu hohe Kopfstimme, mit der sie die Melodien anstimmt.

Seit ein paar Tagen singt sie "Auf der Straße nach Dijon". Klein Madlene ging spazieren / wide ralla wide ro / und sie pflückte roten Mohn (pflück - pflück) / auf der Straße nach Dijon.

Ein spätes Deflorationsliedchen. Sie will gefallen. Meiner Liebe entkommst Du nicht. Das ist ihre Botschaft. Wenn ich spätabends Licht in ihrem Zimmer sehe und die Tür öffne, strahlt sie vor Wonne und jauchzt: "Komm in meine Arme!"

Dann kann ich nur noch fliehen.

Samstag, 16. Juli 2011

Uhrwerkzement

"Mundschenk!" 07:15-07:45h
"Den restlichen Tee kannst Du bitte in die Küche stellen!" 07:45h
"Kannst Du mir bitte die Tropfen geben?" 09:30h
"Was wirst Du denn heute kochen?" 10:30h
"Ich kann nicht mehr." 00:00-23:59h
"Machst Du bitte das Fenster zu?" 13:00 und 18:00h
"Machst Du uns denn gleich bitte einen Kaffee?" 15:00h
"Ich kann nicht mehr. Ich geh ins Bett." 17:30h
"Machst Du mir denn bitte noch ein Bütterken?" 18:00h
"Gute Nacht! Schlaf Du auch gut und habe schöne Träume." 19:00h



Dass dann "mein" Tag beginnt, dass er erst fünf Stunden später endet, diese Idee erreicht sie nicht. Im Uhrwerk ihrer Routinen gibt es die Welt da draußen nicht. Sie nimmt sie schon wahr. Durch die Zeitung. Die stündlichen TV-Nachrichten. Besonders schrecklich das ZDF-Morgenmagazin, am schrecklichsten, wenn Frau Hayali und Herr Jobatey moderieren. Genauso so schrecklich, wenn ein ehemaliger FAZ-Redakteur mit der Nachrichtenlage kuschelt. Das ist mein Zeitfenster des frühen Morgens, an dem ich Facebook-DJ spiele, unter den dicht abschließenden Kopfhörern die Musiklieferungen von Thomas Said, Henri, Pseu und Freunden aus aller Welt probehöre, dann dringt nur der Ruf nach dem Mundschenk durch, der ihr die nächste Tasse Tee einschenken möge, wofür sie selbst zu schwach ist. Gleich nach meiner Ankunft habe ich ihr eine neue große Teekanne gekauft. An die bin ich morgens gekettet. "Mundschenk!"

Im Uhrwerk wohnt ein freundlich bekleideter Befehl, der keinen Widerstand duldet. Meine Frage, ob es Zweifel daran geben könne, dass gleich der Kaffee auf dem Tisch stehe, das Bütterken ans Bett gebracht werde, erreicht sie nicht. Der Zweifel, das Fatamorganagefühl, dass diese Person an ihrer Seite ruckzuck wieder weg und sie wieder allein sein könnte, dieser Zweifel ist groß.

Neunzehn Jahre verwitwete Einzelhaft haben ihr Uhrwerk zementiert. Die darin gewachsene Unruhe ist unstillbar.

Bild von simpologist mit creativ commons-Lizenz

Mittwoch, 13. Juli 2011

Feeling Good

Sag: Schlaf gut!

Die Feinheiten sind schwer zu begreifen.
Mutter, die immer ein Freigeist war, hat nun unzählige Rituale, deren Wert nur ermessen kann, wer selbst hinreichende Kämpfe gegen die Angst gekämpft hat. Zuweilen werden die neuen Gewohnheiten zum Rufen der Sirenen auf Kirkes Insel. Eine der hartnäckigsten ist die Sache mit dem Abendgruß.
Irgendwann weint sie, als ich ihr nach dem gemeinsamen Fernsehen (steht hoch oben auf der Ritualliste, noch vor ihrer Lieblingsspeise von McDonalds, die sie ideenreich RibBurger nennt) "Schlaf schön!" hinterher rufe.
"Sag schlaf gut! Sag schlaf gut!" fordert sie bekümmert. Erst da verstehe ich, dass Worte am Ende des Lebens noch wichtiger sind als zu Beginn. "Schlaf gut!" wünschen wir uns nun stakkato, nachdem das Lampenritual vollbracht ist: Es-werde-Licht, selbst an gleißenden Sommerabenden, um Punkt 20 Uhr 30. Es kommt kurz vor dem Ritual Teilst-du-mir-Hundefutter-zu, Bestellen-wir-denn-heute-endlich-Pizza oder Bringt-der-Junge-gleich-noch-die-Ware-runter. Fehlt eins, fehlen alle. Mangeltage, die ein schwarzes, tödliches Seelenloch provozieren. Heute ist Mutter traurig. Wir haben gestern das Alle-essen-zusammen-und-sind-eine-Familie-Ritual ankündigungslos übergangen. Dabei fühlten wir uns frei wie die Brüder Wright. Sie verliert beim Fernsehen kein Wort darüber. Bevor sie aber das Ich-schaff-die-Treppe-heute-wirklich-nicht-Ritual erledigt, schaut sie verloren den Raum zwischen sich und da draußen an. "Gestern hat keiner Schlaf gut! gesagt," stellt sie sachlich fest. Ihr Gesicht zieht sich zu einem winzigen Punkt zusammen. Machen wir uns nichts vor. Rituale sind die Landkarte. Garantiescheine, um auch am nächsten Morgen heil wieder aufzuwachen.

Fluchtgedanken

Gestern hatte ich ein eigenes Problem. Das ist heutzutage für Menschen wie mich beileibe keine Selbstverständlichkeit mehr. Meist habe ich andere Schwierigkeiten, da ich hauptberuflich die Probleme meiner Mutter verwalte. Diesmal jedoch ging es um meine Beziehung, die ihr nicht wirklich passt. Obwohl sie den Mann mag. Aber niemand ist nun mal leider mein Vater. Der seinerseits ruht seit Jahren unter Stiefmütterchen, friedhofsdunklen Koniferen und einem winzigen japanischen Ahorn, den ich gepflanzt habe. Und wird wiederum von einem namenlosen Gärtner verwaltet. Vater hat deshalb auch keine Probleme mehr. Zumindest keine sichtbaren. Mutter beobachtet seinen Konkurrenten, den Mann, den ich ihr mit aufdrängte, als ich mich für sie entschied, mit Argusaugen. Dabei tarnt sie sich geschickt. Lediglich eine zitternde Unterlippe oder ein zu schnell geschluckter Bissen der gemeinsamen Abendmahlzeit verrät, was sie denkt. Sie hat die spitze Zunge der frühen Jahre gezähmt - angesichts ständiger, unausgesprochener Fragen der Abhängigkeit von Töchtern kommt Kritik gar nicht gut. Zum Streiten wandern mein Freund und ich, aus Rücksicht auf ihre Gefühle und Trommelfelle, in diverse Cafés des Städtchens aus, die uns weder gefallen, noch das Flair vermitteln, das wir zur Beruhigung des losgelassenen Affengeistes brauchen würden. Dort hält man uns für eine buddhistische Theatertruppe, weil wir zwischen den Dezibelrekorden mit Begriffen wie "abhängiges Entstehen" um uns werfen. Am Ende kehren wir erschöpft heim zu ihr. Das hier ist anders als Berlin. Man muss sich nicht nur den Kellnern, sondern auch den greisen Erziehungsberechtigten erklären. Du tust mir so leid, sagt Mutter dann. Hattet ihr Streit? Ist alles wieder gut? Wenn nicht, könnte eine ganze Welt auseinander fliegen.Aber sie meint gar nicht mich. Und es fehlt auch ein Halbsatz. Korrekt würde es heißen: Du tust mir so leid, denn diesen Menschen da, den du unglaublicherweise liebst und der prima Fenster putzen kann, dreh wie du willst. Er wird doch niemals wie dein Vater! Das Beben des Triumphes am Boden ihrer Stimme ist dennoch nicht zu überhören. Eigentlich bewundert sie meinen Freund. Dafür, dass er ihre geliebte Wärterin in Schach hält. Ambivalenz ist das Bergwerk ihres Alters.
Schuften im Dunkeln. Bis zum Umfallen.

Sonntag, 10. Juli 2011

Ruf. Nicht. An.

Sie und mich verbindet eine endlose Telefongeschichte.
Früher lag es an 500 Kilometern Atemraum zwischen Berlin und Ruhrgebiet. Seit ich oben wohne, sorgen die Anrufe für brüchige Distanzen. Die Illusion, dass doch mehr als ein Blatt zwischen Mutter und Tochter passt. Solche Lügen sind uns Trickbetrügerinnen angenehm. Symbiose, ein fahl leuchtendes Schimpfwort. Der Versuch, uns zu entfernen und wiederzufinden, gleicht dem Irrsinn, damals, vor dem Umzug. Meine Nächte, Crashkurs in Überleben, bis zu zehn Anrufe vorm Morgengrauen. Es kam vor, dass ich nicht mehr abnahm. Ruhe war dennoch nie. Ich weinte, wenn mich Bilder plagten - von einem Paar alter Schuhe unter einem leeren Fensterbrett. Von Mutters nikotindunklen, fern wehenden Gardinen. Wie anklagend kann ein abgeschaltetes Handy aussehen? Aber sie hat sich selbst gerettet. Mal um Mal. Seit die Ärzte ihr befehlen, die Angst unten mit sich selbst auszutragen, ruft sie ab und zu minütlich an. Wenn es hell wird oder dunkel, wenn Türen zufallen. Bist du noch da? Du, ich, ihr Kind, Eigentum, Wärterin und Gefangene in einem. Weil sie mich versteht, hat Mutter eine List ersonnen. Ich wollte dir nur mitteilen, wie lieb ich dich hab, sagt sie am Handy. Sie weiß, ich werde nicht auflegen.

Samstag, 9. Juli 2011

Spiegelbilder

Die dritte Nacht in dieser Woche, in der ich zwischen drei und vier Uhr davon wach werde, dass ich meine Mutter nebenan sehr energisch reden höre. Tonfall, Redefluss und Pausen deuten darauf hin, dass es einen für mich nicht hörbaren Gesprächspartner gibt.

Zwischendurch kommt ein glockenhelles Lachen ins Spiel, als verwandelte sich die Situation in ein Telefongespräch mit einer ihrer Freundinnen. Mühelos wechselt sie ins Parlando, als wäre nichts gewesen.

Ich komme in ihr Zimmer und sie wechselt wieder den Ton. Schaff diese Alte raus, befiehlt sie mir. Im Zwielicht der Nachttischlampe erkennt sie ihr Spiegelbild nicht. Nein, es ist subtiler. Sie nimmt etwas wahr, das sie beunruhigt und ihr Angst macht, weil es nicht mit ihrem Selbstbild übereinstimmt. Ich kann sie dazu bewegen, sich wieder schlafen zu legen.

Mirror Lake, Yosemite Digital ID: 1690982. New York Public Library

Gestern ein kurzes Treffen mit J. in D. - ich schildere ihm meine Situation, versuche, sie als Training zu verstehen. Jetzt geht es nicht um höher, schneller, weiter. Jetzt geht die Reise nach innen, in die Tiefe, auf die Suche nach einer Balance, die ich im Schreiben finde.

Das Bild der Balance ist egoistisch. In der Mutter-Sohn-Dyade wächst in mir, was ihr verloren geht.

Angst macht es beiden.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Über das Verrücken der festen Dinge

Du hast so gern getanzt.
Du bist auch gern schön gewesen. Dein Leben wäre so wunderbar verlaufen, hast du manchmal gesagt. Der Mann, den du mit 13 Jahren anfingst zu lieben, erzählte irgendwann, er hätte dich nie richtig erzogen. Immer hast du Angst gehabt, dass deine Mädchen nicht wiederkommen, wenn sie fort gingen. Du konntest keine Martinshörner ertragen, weil du dann sicher warst, eine von uns wäre tot. Wenn du früher traurig wurdest, bist du Rolltreppe gefahren, um dich abzulenken. Zeitlebens hattest du zuwenig Geld, weil man nicht auszugeben wagt, was einem zugeteilt wird. Deshalb willst du heute noch, dass andere das, was dir gehört, verwalten. Bevor Vater starb, wußtest du nicht, dass es mehr als genug sein würde. Deine Handschuhe, die du zum Presseball 1966 in Bonn trugst, gingen dir bis zum Oberarm und dufteten nach Elocar Herb. Etwas anderes konntest du dir nicht leisten. Als ich zehn Jahre alt war, schenkte ich dir dein erstes Minikleid von Woolworth. Es hatte die Farbe von reifen Orangen, wie die erste Apfelsine, die dir 1945, als du selbst erst zehn warst, ein schwarzer GI gab, dessen Truppe euer Wohnzimmer besetzt hatte. Ich weiß, wie oft du versucht hast, mit deinen Töchtern zu basteln und wie selten dir das gelang. Du wurdest wütend, wenn etwas schief ging. Dinge kaputt gehen sehen konntest du nie. Einmal haben wir zusammen ein Lebkuchenhäuschen zustande gebracht und es gab eine Zeit, in der du unsere Wohnung in ein Gewächshaus für riesige, knallbunte Kreppblumen verwandeltest. Du warst das erste, was wirklich mir allein gehörte, hast du einmal zu mir gesagt. Mit dir bin ich an allen Orten gewesen, die du fürchtetest. Frauen, mit denen du hättest teilen können, betrachtetest du mißtrauisch. Keine war schöner als du. Wegen der Stricknadel einer Engelmacherin wärest du fast gestorben, fünf Jahre bevor Romy Schneider und Senta Berger auf dem Sterntitel bekannten, auch sie hätten abgetrieben. Du hörtest auf, für die Zeitung deine Alltagsgeschichten zu schreiben, als Vater nicht mehr aushielt, dass du mehr Leserbriefe bekamst als er. Deine Mutter verstand nie, wieso du nicht stricken lernen wolltest. Eure erste Einrichtung hast du für euch verdient. Du schicktest meinem Vater dein Haushaltsbuch an den Studienort. Er schrieb zurück, du dürfest dir das nächste Paar Strümpfe von deinem Geld erst in drei Monaten leisten. Während meiner Geburt tipptest du mit der Schreibmaschine auf dem Bauch im Kreißsaal noch Berichte für den Chefarzt. Du hättst nie offen Nein gesagt. Du hast so gern gelacht und ebenso schnell geschlagen, wenn dir die Nerven dünn wurden. Später wusstest du nie, wieso du weinen musstest. Deine Mutter hat dir das Gesicht geschwärzt, als die Russen kamen. Seither hattest du Angst vor der Dunkelheit. Neulich sagtest du, dass du nicht verstehst, wieso all das, was einen Menschen ausmacht, irgendwann plötzlich mit ihm verschwindet. Für dich ist nichts verloren. Manchmal sprichst du nachts im Bett mit meinem toten Vater, mit dem vor Jahren deine Welt untergegangen ist. Bis dahin kannte ich dich nicht ohne Lippenstift. Du hast mir beigebracht, wie man sich schminkt, sich anständig benimmt und jemanden lieb hat. Deinetwegen weiß ich alles und mehr über das Verrücken der festen Dinge.

Mittwoch, 6. Juli 2011

Die Alte mit dem Fernrohr

Ihr Sessel ist Hochsitz, Ausguck - von da hat sie alles im Blick. Besonders gegenüber - die Alte mit dem Fernrohr. Elle se trouve sous surveillance. Die Alte mit dem Fernrohr beobachtet uns, meine Mutter und mich. Sie sei etwa genauso alt wie sie und wolle wissen, was bei uns passiert.

Gut, dass sie vorher misstrauisch um sich geschaut hat und die Katzen für vermisst erklärt. Sind wohl abgehauen, heute Nacht, sagt sie leise. Du brauchst kein Katzenfutter zu kaufen.

Als sie nach den Katzen sucht, verengt sich das rechte Auge. Kimme, Korn, Schuss. Sie wechselt das Objektiv. Die Alte mit dem Fernrohr ist ihr Spiegelbild, ist ein Versuch zu verstehen, was passiert. Der einzige Umweg, um die Wahrheit allmählich ans Licht gelangen zu lassen.

Zwischendurch liest sie wieder Thomas Mann. Zuerst die Buddenbrooks. Der Empfangsbär hat es ihr angetan. So einen hätte sie gern, riesig, furchterweckend, dekorativ, eine Figur zum Spielen, eine Figur, um das eigene Gedächtnis auf die Probe zu stellen. Sie traut sich nicht über den Weg. Da kommt der Bär gerade recht.

Jetzt brütet sie über dem Zauberberg. Ganz bei sich und im Hier und Jetzt ist sie bei den Nachrichten. Empört sich über die Pastorentochter. Wie kann die nur Panzer an die Saudis liefern!

Ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes erhielt sie auf dem Petersberg bei Bonn von Johannes Rau den Verdienstorden Nordrhein-Westfalens. Ordensbrüder an diesem Abend waren Ben Wisch und Ralph Giordano. Sie erhielt den Orden, weil sie während des Maidanek-Prozesses Zeuginnen der Anklage betreut hatte. Am Vorabend ihrer Aussage saßen sie bei meinen Eltern im Wohnzimmer, manche begleitet von ihren Kindern, und versuchten, manchmal zum ersten Mal, im Beisein ihrer Kinder davon zu erzählen.

Diese Erfahrung prägt, schuf und festigte Freundschaften, ist eine Impfung gegen das Irresein (nicht gegen das Werden). Im Protest, in der Empörung, ist sie bei sich, schmerzfrei, glasklar.

Da kann die Alte mit dem Fernrohr sehen, was sie will.

Montag, 4. Juli 2011

Der Tag, an dem meine Mutter fast wie Erich Mielke spricht ...

... war heute: "Ich liebe euch doch alle."

Mielke sprach anders in der Volkskammer. Er sagte: "Ich liebe - ich liebe doch alle - alle Menschen - Na ich liebe doch - ich setzte mich doch dafür ein."

Rhetorisch ein Einwand. Emotional ein Schlag in den Solarplexus. Der geschundene schmerzgebeugte Körper ist ihr Dasein. Ihr Geist geht mäandern. Gespräche werden ungefähr.

"Das kann man wohl sagen", ein syntaktischer Joker, neben den Katzen. Eben bat sie mich, beim nächsten Einkauf ein paar Dosen Katzenfutter zu kaufen. "Sie brauchen doch auch was zu essen."

"Das kann man wohl sagen", ahme ich sie nach und verstehe die Sehnsucht, die in dem Satz steckt.

Freitag, 1. Juli 2011

Die da oben

Ihre Mutter hörte das Steigerlied und Mignon. Aus der Heizung. Manchmal summte sie mit. Sehnsucht blieb für sie bis zuletzt auf Sendung.

Meine Mutter hört auch Stimmen. Sie kommen nicht aus der Heizung. Sie kommen von oben. Die da oben singen "Das Ännchen von Tharau".

"Die da oben" wissen davon nichts. Auf der Fußmatte vor ihrer Tür steht "welcome @". Von da oben hört meine Mutter das Ännchen. Und Nazilieder. Die Fahne hoch. Die Reihen fest geschlossen.

Aus Wut darüber klettert sie aus dem Bett. Die Wut macht sie schmerzfrei. Plötzlich kann sie aufrecht stehen. Reckt das zornige spraygefestigte Medusenhaupt. Ich soll Schluss machen mit dem Gesang. Die sollen endlich aufhören!

Beim Ännchen singt sie leise mit. Das Lied für Anna Neander wird zum Lied ihres eigenen Lebens:
Dies ist dem Ännchen die süßeste Ruh',
Ein Leib' und Seele wird aus Ich und Du.
Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Als ich vor ein paar Tagen meinem Bruder die Bohemian Rhapsody der Porkka Playboys vorspiele, ist sie entsetzt. Das findet ihr schön? fragt sie uns.



Das Ännchen, Simon Dach, Horst Wessel und Freddy Mercury leben mit uns unter einem Dach.

Nothing really matters? Das nicht. Aber fast.

Herzschlag ins Gesicht

Ich habe mein Leben zusammengefaltet auf Herzgröße.
Geblieben ist ein kleiner, schlagender Punkt. Merkwürdig, wieviel Wut überlebt. Meine Dämonen wohnen in Mutters Wohnzimmer, wo ihr Sofa zum Thron geworden ist. Liegen und warten, dass sie zum Essen, Fernsehen, Ausgeführtwerden kommen darf. Wir wohnen in einem Universum von Modalverben. Dürfen, können, sollen, müssen. Ihr Königreich der Krankheit ist begrenzt. Verzeihbar, dieses letzte Imperium, was bleibt.

Man hat sie psychisch und physisch durchleuchtet, Endlichkeit diagnostiziert, keine Hoffnung auf Besserung gemacht. Das war, bevor wir kamen. Seitdem verschieben sich Kontinente überall. Sie ist nicht mehr die Feder, von jedem Luftzug ins Nichts geweht. Nähe stärkt für Aktionen. Ihr Widerstand (vor allem gegen Waschen, Essen, Hinausgehen) schwindet. Der Protest gegen Fremdbestimmung hingegen wächst. Manchmal ist Krieg. Und weil wieder Krieg sein darf, entsteht Frieden, wo vorher große Fragezeichen tanzten. Wir kämpfen und lieben. Wir zerren und drücken uns. Es ist schwer, ein guter Mensch zu sein.

"Da mussten wir alle mal durch!" konstatiert meine Tante, eine Bäuerin, am Telefon. Ich habe den Verdacht, dass das so nicht mehr stimmt. Genau zwei Menschen, die ich kenne, pflegen ihre Mütter. Mein Berlin ist eine Erinnerung an 23 Jahre Freiheit und praktischere Lösungen. Das Ruhrgebiet die Rückkehr zu mir. Man lässt Menschen nicht allein. Aber ich habe ein Stiefproblem, seit ich die Rabenmutter meiner Mutter bin. Die Dinge, die ich ihr antue, werden zu Zeugen der Anklage gegen mich. Ich zwinge zur Teilnahme am Dasein. Zwang hat vieles verbessert. Meine alten, freiheitlichen Prinzipien sind verloren. Die Welt verkehrt sich, seit ich an ihrer Seite um sie Palisaden der Kontrolle errichte.Manchmal schaut Mutter mich eigenartig an, wie eine böse Botin von etwas, was nicht endet.

Manchmal wecken mich auch nachts die sachten Schatten ungestellter Fragen:
Was wäre gewesen, wenn ich sie in Pflege gegeben hätte? Dann wäre ich tot, sagt sie.
Man nennt es Liebe. Man schüttelt den Kopf. Man tut, was zu tun ist. So gut man eben kann.
Ich habe mein Leben zusammengefaltet auf Herzgröße. Nun schlägt es Mutter ins Gesicht.

Dienstag, 28. Juni 2011

Keep passing the open windows


Alles war lange potenziell tödlich. Einen Fön besitzt sie nicht mehr. In Mutters Kopf geht er fatale Verbindungen mit Wasser ein. Irgendwann verbannte sie auch den Toaster. Wochen später lagen ihre Küchenmesser plötzlich unten im Hof. Schmale, zarte Morsezeichen, die nur an Sonnentagen blinken. Save Our Souls. Sie hat sie einfach hinausgeworfen. Niemand sammelte sie ein. Sie erinnern alle an alles. Auch die Nagelschere ist (wer weiß wohin) verschwunden. Es blieben die Fenster.


Kurz nach unserem Herzug befahl sie, überall Kindersicherungen anzubringen. Wenig später erwachte ich, weit nach Mitternacht, von ihrem Murmeln aus der Küche. Sie erklomm gerade mein Fensterbrett. Danach forderte sie, ihr auch den Schlüssel zu unserer Wohnung wegzunehmen, der bewies: Du gehörst zu uns. Entweder das. Oder verbarrikadiert auch diese Fenster. Sie bettelte darum. Wir nahmen den Schlüssel. War das der Tag, an dem ich geweint habe? Mein abgebrochenes Leben ging mit anderen Sujets als mir wieder auf. Über einem Horizont, bestehend aus vier Stockwerken Angst. Der Sucht zu fliegen. Der größten Hoffnung und tiefsten Panik meiner Mutter.

In diesen Momenten, vor einem Jahr, sah sie immer aus wie zwei Personen. Eine hackte der anderen die Hand ab, welche sie verletzte. Jetzt, da diese Phase vorbei ist, da sich Gutmenschentum wieder lohnt, da Dinge sich millimeterweise, im Kriechtempo, verbessern, lacht sie manchmal. Sie ist so einfallsreich. Entschieden im Wollen und Versagen. Ihre Wahrheit, erschreckend unzerbrechlich. Hatte sie nicht immer solche Angst vor sich? Sie wollte doch sonst nur fortlaufen. Nun schützt sich Mutter vor ihrer Fantasie. Erstaunt betrachtet sie, wie es - wie sie - war. Größer kann kein Trost sein. Keep passing the open windows...*

* John Irving, The Hotel New Hampshire, 1981

Montag, 27. Juni 2011

Katzen als Joker

Chat. Digital ID: 102262. New York Public Library

Als ich im Januar zu meiner Mutter zog, in die Fünfquadratmeterzelle neben ihrem Schlafzimmer, konnte es vorkommen, dass sie mich mit verschwörerisch leiser Stimme zu sich rief. Sieh mal, sagte sie dann leise, da ist sie wieder.

Sie erhält nächtliche Katzenbesuche. Manchmal auch tagsüber, als Trostpreise. Mal huschen sie zu ihr ins Bett. Oder sie begnügen sich mit einem Platz auf dem Rollstuhl. Sie schnurren vor sich hin. Oder sind gemessen auf Abstand bedacht.

Aus dem trivialen Blickwinkel des Sohns sind die Katzen eine gebrauchte Windel, eine zu bügelnde Hose, ein pollenverschmierter Kastanienast.

Die Katzen lenken ihren Blick in eine andere Welt. Manchmal entstehen da Filme, oft obszönen Inhalts (und ob das szön ist ...), im Leben der Anderen, auf der anderen Straßenseite, bei der japanischen Großfamilie.

Meine Mutter kennt Shozo Numa nicht, den Autor des Romans Yapoo, ein mild in die Zukunft projizierter Science Fiction, in dem eine Herrenrasse über ihr Glück gebietet. Zur Vervollkommung ihres Glücks dient eine Sklavenrasse, begabt, ihre Körper jedwedem Wunsch ihrer Herren anzupassen. Ich stieß auf Yapoo, als ich an einem kühlen Herbstabend meinen japanischen Freund bat, meine Decke zu sein.

Er schrie entsetzt-begeistert: Yapoo - iiiäää! Und erzählte mir die story des Romans.

Die Katzen sind das Yapoo meiner Mutter, Joker und Platzhalter einer ausfransenden Realität, die sich bereit hält, Zeugen ihres Daseins, lockende Erinnerungen an Pinki, den Kater des Vaters ("erst der Kater, dann der Vater" - bedichtete Vater den Tod seines Katers, dem bald der eigene folgte) und ihren Kater Mikesch.

Einspruch zwecklos. Sie sind da.

Sonntag, 26. Juni 2011

...draußen vor der Tür

Bei Mutter klingeln nur Blindgänger. Sie hat eine Depression. Und keine Bekannten mehr. Gestern schellte es, und als ich oben öffnete, hörte ich sie an der Tür ihr Mantra murmeln. DasistDodiDasistDodiDasistDodi. Es war aber gar nicht Dodi, sondern ein Paket für mich. Dodi ist der Junge meiner Schwester. Meine Schwester redet nicht mehr mit Mutter. Weil sie Depressionen für Egotrips hält. Deshalb ging sie auch fort. Einer der endgültigen Brüche, wie sie nur in Selbsthilfebüchern vorkommen. Wir zogen aus Berlin her, um uns zu kümmern. Dodi und seine Schwester kommen seit 2007 gar nicht mehr. Das kennt Mutter von früher: Propaganda. Manchmal läuft sie in ihrer Wohnung herum und flüstert: "Mein Biberchen!" So hieß Dodi, als sie sich um ihn kümmerte. Mutter will nicht, dass ich weiß, wie oft sie die Nummer meiner Schwester wählt. Und dass nie jemand abnimmt. Scham kann so still sein.
Draußen, vor der Tür.

Hunger!

"Mir aber nicht so viel!" sagt sie. Jeden Tag. Und: "Ich kann wirklich nicht mehr. Darf ich das drauflassen?" Ich bin zur Göttin ihrer Mahlzeiten geworden. Mir obliegt es, das Essen zu kontrollieren. Das Leben. "Das schaff ich nicht mehr!" sagt sie und starrt entschuldigend den Teller an. Immer isst sie so hektisch, als lange gleich eine große Hand aus dem Himmel nach ihr. "Das letzte Stück lass ich aber liegen, ja?" Ich nicke. Irgendwann schreie ich auch: "Ja, ja, ja!" Mutter zuckt zusammen. Es interessiert niemanden, wieviel du isst, Oma!" sagt der Junge böse. Seine Ururgroßmutter, ihre Großmutter, ging um ein Stück Butter beim Bauern betteln. Deren Tochter, Mutters Mutter, verschlang diese Butter - versteckt auf der Unterseite des Frühstücksbrots - damit die Kinder nicht sahen, welche Gier sie umtrieb. 1935 geboren werden. Essen ist Krieg. Dem Jungen bedeutet es nichts. Heute. Hier. "Gib mir die kleinste Portion!" sagt sie. "Du weißt ja, ich kann nicht so viel!" Mutter isst heimlich, wie ihre gabelzinkendünne, eigene Mutter, bevor und nachdem die Russen kamen. Eine Packung Schmelzkäse, mit dem Löffel. Tütenweise Gummibärchen. "Bring die nicht mehr mit, sonst sind die sofort weg!" Ich zucke. "Iß doch, iß endlich, Mama!" sage ich. "Darf ich den Rest wegwerfen?" fragt sie. Der Deckel des Mülleimers scheppert. Essen segelt ins Nirgendwo. Ihre Stimme scheppert. Ich bin ihre Mutter geworden. Sie bettelt um Strafe. "Hör auf zu fragen!" schreie ich. "Ich hab so Angst," sagt sie, "dass du schimpfst, wenn ich nicht aufesse!" Sie lächelt. Hunger wird belohnt. Verschwendung bestraft. Ich bin ihr Kerkermeister. Sie schmiedet Ketten.
Jeden und jeden Tag. 

Leichtigkeit des Seins

Die Idee ist so einfach. Beiseitelegen, was auf Dich zurast.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Verloren gehen













Das unterstrichene Datum und die Notierung fand ich heute Nachmittag auf der Lokalseite der Tageszeitung. Ein Auto-Alarm. Meine Mutter befürchtet, ihr Gedächtnis zu verlieren.

Das Datum, die Zeitung, die stündlichen Nachrichten, die Essenszeiten - die Routinen im Alltag der fast 89jährigen Frau zerfransen, geben keinen Halt mehr. Wo bin ich? Was für einen Tag haben wir heute? Wann kommt die Pflegerin?

In ihrer Mimik mischen sich Grimm, Trauer, Verzagtheit. Weil das so ist, will sie nicht drüber reden.

Du gehst nicht verloren!